Vor einiger Zeit hat mir eine ehemalige Arbeitskollegin eine SMS geschrieben. Der Informationsgehalt war überschaubar. Vordergründig entschuldigte sie sich dafür, sich nicht früher gemeldet zu haben. Die Begründung für das Versäumnis: "Ich arbeite 30 Stunden, habe drei Kinder, ein Haus und einen Garten. Da bleibt wenig Luft." Ich fühlte mich sofort an eine alte Fernsehwerbung erinnert, in dem ein Mann einem Bekannten ein paar Fotos präsentiert, von seinem Auto, seinem Haus, seinem Boot. Der Bekannte konterte mit jeweils noch größeren Exemplaren der jeweiligen Statussymbole. Damals war ich der Meinung, dass sich nur Männer dafür interessieren, wer - man verzeihe mir meine Ausdrucksweise - den "längsten" hat. Das hat sich geändert. Auch Frauen sind heutzutage sehr kompetitiv, das mag man als Zeichen erfolgreicher Emanzipation begreifen. Gewetteifert wird natürlich um das schlaueste Kind, um die schmalste Taille, um den erfolgreichsten Ehemann. Aber mittlerweile zählt auch der Stress an sich als erstrebenswerter Phallusersatz. Wahlweise zwingt uns die Orientierung an der Medienlogik oder die durchökonomisierte Leistungs- und Arbeitsgesellschaft - wer mein Buch gelesen hat, weiß, dass das kaum zu trennen ist - dazu, ununterbrochen zu performen. Wer Zeit hat, wer keinen Stress hat, wer nicht von Termin zu Termin rast (am besten sichtbar in der Familienkutsche), der stempelt sich zum Außenseiter. Aber offensichtlich bleibt selbst der gestresstesten Mutter Zeit, eine SMS über den Stress zu schreiben. Sie hätte es mal lieber bleiben lassen.