Immer mehr Abiturienten in Deutschland haben einen Durchschnitt mit einer 1 vor dem Komma. Laut einer Umfrage der Rheinischen Post traf das 2018 auf jeden vierten zu (25%), 2008 noch auf jeden fünften. Die viel beklagte und doch von der Politik zumindest geduldete (weil von den wählenden Eltern gewollte) Noteninflation hat gravierende Nachteile. Eine wirklich ausgezeichnete Leistung hebt sich als solche kaum mehr ab. Auch nicht an den Hochschulen, die ihrerseits - nicht in allen, aber in vielen Studiengängen - überwiegend 1er und 2er vergeben, da selbst die vermeintlich gute 2 bisweilen heftige Reaktionen der Studenten hervorruft. Diese sind es nicht gewohnt, durchschnittlich oder (Gott bewahre) schlechter bewertet zu werden. Dabei kommen sie in der Regel besser weg, als sie es eigentlich verdient haben. Das ist vor allem für die Wirtschaft eine schlechte Nachricht, weil das Notenbild bei der Bewerberauswahl an Aussagekraft verliert. Aber auch eine andere Gruppe gehört zu den Verlierern der 1er-Schwemme: die Eltern der aktuellen Schüler- und Studenten-Generation. Ein Beispiel: Eine Mutter erzählte mir, dass sie aus Interesse einen Blick in ihr Abitur-Zeugnis (dieses dürfte aus den 1990er Jahre gewesen sein) geworfen habe. Was sie da lesen musste, erschütterte sie zutiefst, stand da doch eine 3 neben der anderen. O-Ton: "Mir war gar nicht bewusst, wie schlecht ich war." Vor dem Hintergrund der derzeit vergebenen vielen guten Noten entwertet eine erfolgreiche Frau nachträglich ihren Bildungsabschluss. Dabei war ihr Durchschnitt vor 30 Jahren völlig in Ordnung und ermöglichte ihr das Studium an einer renommierten Universität. Was für Akademiker noch erträglich ist, kann für die vielen Eltern, die an einer Haupt- oder Realschule einen Abschluss gemacht haben, den reinsten Frust bedeuten. Wer mag vor dem eigenen Kind (oder anderen) schon zugeben, dass es bei der Mittleren Reife nur zu einer 2,5 gereicht hat, während heute ein Abiturient mit einer vergleichbaren Note als Versager dasteht? Wer tatsächlich glaubt, die Schüler seien so viel klüger oder "zielstrebiger" (Ilka Hoffmann, Schulexpertin der Lehrergewerkschaft GEW) als ihre Eltern, verschließt die Augen vor dem schleichenden Qualitätsverlust. Und entwertet seinerseits die elterlichen Bildungserfolge.